Grenzenlose Gedanken

 

 Ich bin ja so begrenzt.

 

Das fängt schon mit meinem Körper an. Eingehüllt in beinahe zwei Quadratmetern Haut, die mich abgrenzen von allem, was nicht ich bin.

 

Sie engt meine Körperlichkeit ein.

 

Manchmal so sehr, dass sie keinen Knochen versteckt und dann wieder weitet sie sich ins scheinbar Grenzenlose, ohne zu verraten, welcher Zustand gut oder schlecht ist.

 

Meine Haut schützt mich vor äußeren Gefahren, hält meinen Leib zusammen und grenzt mich als Individuum ab.

 

Nehme ich sie als Synonym, könnte sie eine Grenze sein zwischen Völkern.

Eine Mauer, die vor Überfällen schützt, eine Kultur zusammenhält und sie abgrenzt mit all seinen Werten und Eigenheiten.

 

 

 

Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Meistens jedenfalls.

 

Denn: Keine Grenze kann nicht überwunden werden. Auch nicht die Haut.

 

Es gibt da diese göttlichen Wunder in und auf meiner natürlichen Umgrenzung.

Sie nennen sich Sinne und machen die Schranke Haut durchlässig für alles, was sie wahrnehmen können.

 

Sie sehen die bewertenden Blicke, sie hören die Sprüche, die unter die Haut gehen und sie fühlen die liebevollen, schmerzhaften oder gleichgültigen Berührungen, die mir wieder neue Grenzen setzen.

 

 

 

Auch alle geographischen Grenzen sind fließend, durchlässig. Die Welt ist im ständigen Wandel. Selbst Kontinente verschieben sich, finden zusammen und trennen sich wieder. Alles ist eine Frage der Maßstäbe.

Und menschliche Maßstäbe sind so begrenzt.

 

Keine Mauer hält ewig. Sie ist einfach zu menschlich, nicht gottgegeben.

 

Daher können sie auch von mir überwunden werden. Mauern altern und werden manchmal überflüssig. Häufig genug werden Grenzen verschoben, egal mit welchen Folgen. Sie sollen schützen und werden doch überrannt, immer wieder.

 

 

 

Natürlich sind nicht alle Begrenzungen schlecht.

Viele helfen, das Miteinander erträglich zu machen. Sie können die Gefühle und Bedürfnisse des Einzelnen schützen. Doch gleichzeitig ziehen sie Wälle, die so vieles voneinander abgrenzen;

Wände, die einen ausgrenzen vor der Vielfältigkeit des Lebens,

Grenzen, die einem so viele Möglichkeiten vorenthalten.

 

 

 

Gut, dass Mauern so durchlässig sind wie meine Haut.

 

Durchlässig für menschliche Berührungen und Gedanken.

 

Die Gedanken sind frei. Grenzenlos.

 

Sie fließen durch Mauern und eingeschränkte Weltbilder.

 

Sie sind wie Wasser: beständig und unterspülend, reinigend und zerstörerisch.

 

Manchmal stelle ich mir meine Gedanken wie kleine Rinnsale vor.

 

Sie mäandern stetig durch mein Leben, umfließen meine Mitmenschen, lassen sich von alltäglichen Geschehnissen auf ihrem Weg beeinflussen.

 

Mal trennen sie sich, mal finden sie zueinander.

 

Mal fließen sie an anderen vorbei, doch ab und zu spülen sie durch fremde Gedanken hindurch und verändern diese.

 

Ein steter kleiner Fluss von Gedankentropfen, der nur durch mich begrenzt wird.

 

Begrenzte Gedankentropfen, die bewerten, oder auch nur hinnehmen. Die überwinden oder akzeptieren. Die manchmal vertrocknen und ab und zu anschwellen.

 

Imaginäre Grenzenlosigkeit, die doch etwas bewirkt.

 

 

Ich denke, was ich will.

 

Keine Mauern können mich dabei begrenzen, keine Vorurteile mögen mich schrecken, keine Dummheit soll mich beschränken.

 

Keine fremde Haut hält mich ab.

 

 

 

Und es steht mir frei zu träumen. Meine Gedanken auf eine Reise zu schicken.

 

Mir vorzustellen, wie es wäre, wenn es keine Grenzen mehr gäbe.

 

 

 

Also träume ich von einer grenzenlosen Welt.

 

Einer Welt, in der grenzenloser Hass keinen Platz mehr hat.

 

Einer Welt, in der grenzenlose Liebe in die Unendlichkeit wächst.

 

Einer Welt, in der grenzenloses Vertrauen das Miteinander zulässt.

 

Einer Welt, in der grenzenloser Glaube in all seinen Facetten ausgelebt werden kann.

 

Einer Welt, ohne Mauern.

 

 

 

Ich kann nicht aus meiner Haut.

 

Doch ich lasse mich von ihr nicht begrenzen.

 

Ich will grenzenlos sein.

 

 

 

Antje Marschinke, April 2018